Als Deutschland sein Herz für Boatpeople entdeckte
Ende der 70er-Jahre flohen Millionen Menschen vor
dem kommunistischen Vietcong aufs offene Meer hinaus. Doch niemand wollte sie
haben. Es war ein deutscher Politiker, der das Leiden für viele beendete. Von Benno Müchler
Es war Ende Mai
1979, als Tu Dung Dang mit seinen Eltern an die Küste fuhr. Dang war damals 12
Jahre alt und lebte in Vietnam (Link: http://www.welt.de/themen/vietnam-politik/)
. "Wir fuhren an einen Nebenfluss, der zum Meer führte", erzählt er.
"Da habe ich dann schon gesehen, dass da drei große Schiffe oder Boote
lagen. Die waren ziemlich groß für ein Fluchtschiff."
Dangs Boot war
groß genug für 300 Leute. In See stachen sie mit doppelt so vielen. Seine
Eltern hatten nur Geld, um die Flucht für eines der Kinder zu zahlen. Sie
selbst blieben zurück. Sieben Tage war Dang auf See, sieben Tage fürchteten er
und die anderen um ihr Leben. Sie trafen auf Piraten und entkamen nur knapp
einem Sturm. Ein anderes Boot kenterte und Dang sah, wie Hunderte seiner
Landsleute elendig ertranken. "Das ist so ein Erlebnis, wo ich dann sagen
würde, das werde ich ein Leben lang nie vergessen."
36 Jahre später
ist Tu Dung Dang einer von rund 35.000 vietnamesischen Boatpeople, die in der
Bundesrepublik Zuflucht fanden. Wie die Aufnahme der
Flüchtlinge (Link: http://www.welt.de/themen/fluechtlinge/)
heute war auch ihre Aufnahme damals umstritten. Wie die Flüchtlinge heute
wurden auch sie Opfer rechtsextremer Gewalt. Und: Auch ihre Integration verlief
anfangs schwierig. Heute sind die Vietnamesen Beamte, Ärzte, Ingenieure und
IT-Experten. Wodurch ihre Integration am Ende gut klappte? Sie selbst sagen: Es
war vor allem die große Willkommenskultur der Deutschen und der Erlass des
Asylverfahrens.
Rund 1,5
Millionen Menschen flohen Ende der 70er-Jahre mit dem Boot aus Vietnam vor den
siegreichen kommunistischen Vietcong und ihren Umerziehungslagern. Rund 250.000
kamen auf dem Seeweg ums Leben. Dangs Boot schaffte es aus dem Mekongdelta nach
Indonesien, wo er sich als kleiner Junge in einem Flüchtlingslager als
Straßenverkäufer durchschlug. Mithilfe des deutschen Rettungsschiffs "Cap
Anamur" kam er schließlich nach Deutschland und vergaß nie den Tag seiner
Ankunft in Berlin. "Und als ich da aus dem Flugzeug stieg", erzählt
er, "wurde ich von einer ganz, ganz korpulenten Ärztin umarmt, und so
fest, dass ich dann eben, halt, dass mir die Luft weg blieb. Das war die
herzlichste Umarmung, die ich je in meinem Leben erlebt habe. Das zeigte, dass
wir willkommen waren."
Von der Leyens
Vater handelte entschlossen
Tatsächlich war
zu diesem Zeitpunkt die breite Mehrheit der deutschen Bevölkerung für die
Aufnahme der Vietnamesen. Lange aber war die Hilfsbereitschaft der Deutschen
gering gewesen. Vor allem die linke Studentenbewegung war gegen die Flüchtlinge
aus dem proamerikanischen Südvietnam. Auch die Chefs der Bundesländer waren,
noch bis lange nach 1979, verhalten, sagten, sie hätten nicht genug
Unterkünfte, die Integration sei kompliziert und kostspielig. Am Ende war es
Niedersachsens Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU), der 1978 die Stimmung
änderte.
Albrecht, der
Vater von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU), hatte im
Fernsehen die Bilder des Frachters "Hai Hong" gesehen. Entsetzliche
Bilder wie Österreich heute. Menschenschmuggler hatten 2.500 Boatpeople an Bord
genommen. Doch kein Land wollte sie aufnehmen. Zwei Monate irrte das Schiff von
Hafen zu Hafen. Die Bilder der Hunger und Durst leidenden Menschen erreichten
Deutschland mit der "Tagesschau" und riefen Entsetzen hervor.
Albrecht nahm einige
Hundert der "Hai Hong"-Passagiere auf, und so nahm die Geschichte der
Boatpeople in Deutschland ihren Lauf. Nur wenige Monate später gründeten der
Journalist Rupert Neudeck und seine Frau Christel den Verein Cap
Anamur/Deutsche Not-Ärzte e.V. Neudeck rief im Fernsehen zu Spenden auf und
rettete mit der "Cap Anamur" über 10.000 Vietnamesen aus dem
Südchinesischen Meer.
"Die
Unterstützung der deutschen Gesellschaft war überwältigend", erinnert sich
der heute 76-jährige Neudeck. Tausende Deutsche spendeten, zahlreiche Familien
nahmen Vietnamesen auf. Auch Dang fand bei einem deutschen Ehepaar ein erstes
Zuhause, bis seine Eltern ihm nach Deutschland folgten. Dang machte Abitur,
studierte Verwaltungs- und Rechtswissenschaften. Heute arbeitet er in der Bußgeldstelle
der Berliner Polizei.
Mai Thuy
Phan-Nguyen ist heute Ärztin. "Wir wurden mit offenen Armen
empfangen", sagt die 39-Jährige. Problemlos seien ihnen Deutschkurse und
eine Ausbildung ermöglicht worden. Auch Kim-Hoa Trinh, der heute bei einem
Telekommunikationsunternehmen arbeitet, erinnert sich an eine große
Willkommenskultur. "Wir sollten die neuen Flüchtlinge heute auch wieder
mit offenen Armen empfangen", sagt er. "Das fand ich damals für
unsere ersten Schritte in Deutschland sehr wichtig."
Vietnamesen
waren auch Opfer von Anschlägen
Doch es gab auch
Schattenseiten, sehr dunkle. 1980 verübten Neonazis einen Brandanschlag
(Link: http://www.welt.de/themen/brandanschlaege/)
auf ein Flüchtlingsheim in Hamburg. Zwei Vietnamesen starben. Zehn Jahre später
erneut Anschläge: Auch wenn es diesmal vietnamesische Vertragsarbeiter der DDR
und nicht Boatpeople waren, richtete sich 1991 in Hoyerswerda und 1992 in
Rostock-Lichtenhagen die Gewalt wieder gegen Vietnamesen.
Anfang der
80er-Jahre lebten in Deutschland viel weniger Ausländer im Vergleich zu heute.
Die Vietnamesen waren die ersten, die von außerhalb Europas kamen. "Es gab
damals nicht so viele unterschiedliche Gruppen", sagt Hong Phuc Nguyen.
Dadurch sieht er die heutige Aufnahme der Flüchtlinge in Deutschland erschwert.
Doch nicht nur wegen der kulturellen Unterschiede. Auch wegen der schieren Zahl
und der Überforderung der Behörden kann er gut verstehen, warum viele Menschen
Bedenken haben. Er ist selbst ratlos, wie man die Aufnahme von 800.000
Asylbewerbern bewältigen kann.
Nguyen kam als
Neunjähriger nach Deutschland und hatte anfangs viel Mühe mit der Sprache. So
musste er zuerst auf die Hauptschule, kam dann in die Realschule, schließlich
aufs Gymnasium. Er studierte Wirtschaftsingenieurwesen und arbeitet jetzt bei
der Deutschen Telekom.
Neudeck sieht
die Integration der vietnamesischen Boatpeople als Musterbeispiel. "Die
Vietnamesen zeigen, dass Integration kein Prozess sein muss, bei dem man
zuzahlt, sondern bei dem man auch viel gewinnen kann", sagt der Cap-Anamur-Gründer
(Link: http://www.welt.de/130777171)
. "Ihre Integration hat wunderbar funktioniert, wenn wir sehen, dass viele
Vietnamesen gute Jobs haben, zum Bildungsbürgertum gehören und Eltern ihre
Kinder anhalten, in der Schule die Besten zu sein." Allerdings sei damals
erleichternd hinzugekommen, dass die Bundesregierung schon 1979 entschieden
hatte, Vietnamesen, die von deutschen Schiffen gerettet wurden, sofort Asyl zu
gewähren. Ihnen blieben die zähen, monatelangen Anträge erspart.
"Ich hoffe,
dass es dazu wieder kommen wird", sagt Neudeck und fordert ein neues,
offeneres Einwanderungssystem, wie etwa das Amerikas, das einmal im Jahr Visa
verlost. "Wir müssen weg von der Vorstellung, dass das Asyl der einzige
Zugang zu Deutschland ist. Ich bin überzeugt, dass wir dann ganz andere
Ergebnisse sehen würden."